Gefährliche Einsätze für die Autobahn Westfalen: 47 Unfälle in einem Jahr
„Was passiert beim nächsten Mal?“
- Aus der Region, 14.11.2024
- Straße & Verkehr
Südwestfalen. 47 Unfälle mit Beteiligung von Betriebsdienstfahrzeugen und -mitarbeitern hat es in den vergangenen zwölf Monaten im Bereich der Autobahn-Niederlassung Westfalen gegeben.
47 Mal der Schreck, wenn ein Fahrzeug in die Baustellensicherung kracht, 47 Mal zum Glück keine oder nur leichte Verletzungen bei den Mitarbeitern und auch Unfallverursachern – aber auch 47 Mal der Gedanke: Was passiert beim nächsten Mal?
Heiko Kemper ist seit 25 Jahren Leiter der Autobahnmeisterei Dorsten. Hier hat er den Job als Straßenwärter gelernt, war selbst auf der Strecke, bevor er mit einer zusätzlichen Ausbildung zum Techniker mehr Verantwortung übernahm. Kemper weiß also, was auf der Straße los ist. Auch wenn er sagt, dass seine Erfahrungen lange her sind: „Inzwischen ist der Verkehr ein anderer.“
In Ihrer Meisterei war ein Mitarbeiter im vergangenen halben Jahr gleich zweimal in einen Unfall verwickelt. Beim zweiten Mal wurde er verletzt, es geht ihm aber bereits wieder besser. Was macht das mit Ihnen und Ihren Mitarbeitern?
Kemper: Das Telefon klingelt immer zuerst bei mir. Meine Leute rufen an und sagen „Du musst die Polizei schicken“. Natürlich fragt man dann, ob jemand ernsthaft verletzt ist. Und diese Frage bleibt auch im Kopf, wenn ich mich auf den Weg zur Unfallstelle mache. Liegt da einer meiner Leute? Ist er ansprechbar? Was ist passiert? Beim letzten Unfall war ich schneller als der Rettungswagen vor Ort. Und da trifft man dann nicht nur auf einen möglicherweise verletzten Kollegen, sondern auch auf sein Team. Und denen zittern auch die Hände.
Mit welchem Gefühl gehen diese Mitarbeiter am nächsten Tag wieder auf die Strecke?
Kemper: So ein Unfall muss auch von den Kollegen, die nicht beteiligt waren, verarbeitet werden. Das funktioniert hier auf der Meisterei sehr gut im Gespräch. Wir setzen uns zusammen, reden über die Ereignisse. Wer will, kann psychologische Hilfe in Anspruch nehmen. Und die Kollegen sprechen natürlich auch untereinander über die Gefahren und das Glück, dass nicht mehr passiert ist.
Wie geht es den direkt Betroffenen, wenn sie nach einem Unfall wieder einsteigen?
Kemper: Da fehlt irgendwann die Gelassenheit. Zumal die Mitarbeiter in den Sicherungsfahrzeugen ja den Verkehr im Rückspiegel im Blick haben. Und sie sehen, wenn etwas passiert, können aber nicht mehr reagieren. Und selbst wenn die Anhänger nur gestreift werden, ist der Aufprall massiv zu spüren. Beim letzten Unfall hat sich der Fahrersitz komplett verdreht. Selbst wenn die Geschwindigkeit beim Aufprall nur noch bei 60 oder 70 km/h liegt, kann hier viel passieren. Und wir wissen vor allem, dass es immer wieder passieren wird.
Eine der Hauptursachen für die Unfälle ist Unaufmerksamkeit der Fahrer. Wie geht man damit um, wenn man weiß, dass das Leben von einem selbst und das der Kollegen auf dem Spiel steht?
Kemper: Das lässt einen eigentlich ratlos zurück. Da steigt der Sprinterfahrer nach einem Unfall aus und sagt, er hätte aufs Handy geschaut. Ein anderer meinte, dass er sich ganz vorne einfädeln wollte, aber es habe ihn niemand mehr hereingelassen. Da war er aber schon an zwei Vorwarntafeln vorbei, die auf die Spursperrung hingewiesen haben. Und dann hat es geknallt.
Lassen sich noch mehr technische Hilfsmittel für die Sicherheit des Betriebsdienstpersonals bereitstellen?
Kemper: Technisch haben wir eigentlich schon fast alles ausgereizt. Und das hat auch enorme Verbesserungen gebracht. Wenn sich die C-ITS-Technik, mit der Warnungen in die Fahrzeuge gesendet werden können, weiter durchsetzt, kommt ein weiterer Puzzlestein für mehr Sicherheit hinzu. Vor allem aber bei den sogenannten Wanderbaustellen sind die Möglichkeiten weitgehend ausgereizt.
Denn Schwellen auf der Fahrbahn lassen sich nicht mitziehen und auch LED-Tafeln, die vielleicht mehr Aufmerksamkeit als ein Tempo-80-Schild erzeugen, können nicht mitwandern. Unsere größte Herausforderung ist derzeit die enorme Zunahme vor allem des Lkw-Verkehrs.
Können die Straßenwärter selbst etwas für ihre Sicherheit tun?
Kemper: Ganz bestimmt. Wer auf der Strecke mit dem Bewusstsein für die Gefahren unterwegs ist, kann viel für die eigene Sicherheit tun. Damit dieses Bewusstsein immer präsent ist, investiert die Autobahn GmbH in Schulungen für das Betriebsdienstpersonal. Bei einem regelmäßig stattfindenden Sicherheitsparcours werden die Sinne geschärft und oft gefährliche Routinen hinterfragt.
Was wünschen Sie sich noch von den Verkehrsteilnehmern?
Kemper: Weniger Aggressivität. Mehr Gelassenheit und vor allem: Lassen Sie sich nicht ablenken! Ein Menschenleben ist so wertvoll. Wertvoller als jede Mail oder Sprachnachricht.