Kettensägen-Prozess: Angeklagter ist depressiv und hat Eifersuchtswahn

Gutachter klärt Strafkammer auf


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Landgericht Siegen von LG Siegen/Justiz NRW
Landgericht Siegen © LG Siegen/Justiz NRW

Rönkhausen/Siegen. Im „Kettensägen-Prozess“ um einen Vorfall in einer Rönkhauser Gaststätte ist am Montag, 15. August, der Hagener Gutachter Dr. Brian Blackwell am Landgericht Siegen zu Wort gekommen. Gleich zu Beginn des Verhandlungstages machte Blackwell deutlich, dass es sich um ein komplexes Gutachten handelt. In aller Ausführlichkeit analysierte er den Tatverdächtigen und präsentierte die Ergebnisse der ersten Großen Strafkammer.


Maßgeblich für das Gutachten des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie sind die Gespräche mit dem Angeklagten, die in der JVA Attendorn geführt worden sind. Dass ein Ereignis aus der Kindheit für die Tat ausschlaggebend ist, konnte Blackwell ausschließen. „In der Schule war er zwar störend und frech, aber sozial integriert.“

Im Gegensatz zu einer abgebrochenen Dackdecker-Lehre beendete er zuvor die Hauptschule mit einem Abschluss. Ein erster größerer Schicksalsschlag des heute 52-Jährigen war der Tod der Mutter Anfang der 90er Jahre.

„Er hat sich wertlos gefühlt“

Seitdem sei es immer weiter bergab gegangen, auch gesundheitlich. Negativer Höhepunkt waren wohl drei Herzinfarkte in den Jahren 2014, 2015 und 2016. Seitdem müsse der Angeklagte jedes halbe Jahre ins Krankenhaus.

Auch abseits der Herzinfarkte hatte sich der Angeklagte bereits Ende 2016 wegen einer rezidivierenden depressiven Störung in einer Klinik aufgehalten. Dort sei ihm eine Neuroleptikum verordnet worden. „Er hat sich wertlos gefühlt“, so Blackwell. Hinzugekommen seien Beschämungs- und Versagensängste.

Autounfall sollte mit Selbstmord enden

Eine weiterer Klinikaufenthalt habe nur wenige Monate später stattgefunden. Daneben seien ebenfalls Selbstwertprobleme und suizidale Absichten aufgetreten. Letztere äußerten sich im Jahr 2018, als der heute 52-Jährige verunfallte – mit der Absicht in einen Baum zu fahren.

Auch Hilflosigkeit sei ihm eingetreten. Da der Angeklagte schon öfters arbeitslos gewesen sei, habe er in Rente gehen wollen. Die Anträge seien mehrmals abgelehnt worden. Frust sei beim mutmaßlichen Täter aufgekommen: „Er bekam den Eindruck, die Ämter hätten sich gegen ihn verschworen“, so der Gutachter.

„Ich bringe dich um, wenn du mich verlässt“

Im Laufe des Gesprächs in der JVA sei dem Hagener Facharzt folgendes aufgefallen: „Er ist auffällig sachlich und emotionslos geblieben und hat wenig Empathie gezeigt.“ Zudem würden die positiven Dinge im Vordergrund stehen. Negative Dinge blende er aus.

In seiner Diagnose stellt Blackwell beim Angeklagten nicht nur eine Depression fest, sondern auch eine verzerrte Wahrnehmung und einen Eifersuchtswahn. Dieser hätte sich unter anderem dahingehend geäußert, als er seiner Frau angedroht hatte: „Ich bringe dich um, wenn du mich verlässt.“

Kokaineinnahme wenige Minuten vor der Tat

Umbringen wollte der Angeklagte bekanntlich – unter Drogeneinfluss – in der Silvesternacht auch den Wirt der Kneipe. Die Einnahme des Kokains sei allerdings früher erfolgt, als vom Angeklagten dargestellt.

„Er hat das Koks vor der Tat genommen, um die Hemmschwelle zu reduzieren“, ist sich der Gutachter sicher. Dass er den Rauchern vor der Kneipe zugerufen hat „Euch passiert nichts“, zeuge von einer hohen Situations-Übersicht. Er habe, so Blackwell, den eigenen Tod in Form eines Mitnahme-Suizids in Kauf genommen.

Der Strafkammer sagte der Facharzt, dass ein längerfristiger Aufenthalt im Gefängnis nicht das Mittel der Wahl sein sollte: „Eine Haftstrafe hilft nicht vor weiteren Taten abzuschrecken.“ Er plädierte für eine Unterbringung im Maßregelungsvollzug gemäß Paragraph 63. Dort sei er therapeutisch gut zugänglich und könne rehabilitiert werden. Außerhalb von Paar-Beziehungen sei der Angeklagte für niemanden gefährlich.

Der nächste Verhandlungstag ist am Donnerstag, 18. August. Nach dem aktuellen Terminplan ist die Urteilsverkündung für Dienstag, 23. August, geplant.

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