„Extrawurst“? Genesenenstatus für Bundestagsabgeordnete länger gültig

LokalPlus fragt bei heimischen Parlamentariern nach


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Der Bundestag in Berlin. von pixabay.com
Der Bundestag in Berlin. © pixabay.com

Kreis Olpe/Berlin. Seit dem 15. Januar gilt man hierzulande nach überstandener Corona-Infektion nicht mehr sechs Monate lang als genesen, sondern nur noch drei. Nicht so im Deutschen Bundestag. Dort gelten weiterhin sechs Monate. Mehreren Medienberichten zufolge sorgt nun diese Ungleichbehandlung bei den Bürgern für Verwunderung und Empörung. LokalPlus hat die Bundestagstagesabgeordneten des Kreises Olpe und den Europaabgeordneten Peter Liese gefragt, was sie von der „Extrawurst“ halten und ob sie den deutschen Sonderweg für richtig halten.


Denn: Deutschland ist das einzige Land in der Europäischen Union, in dem der Genesenenstatus drei Monate gilt. Auch pikant: Deutschland hatte erst im Rahmen einer EU-Abstimmung dafür votiert, dass vormals Erkrankte den Status bei Reisen innerhalb der EU für 180 Tage inne haben.

Laut dem Magazin „Business Insider“ habe man beim Bundesgesundheitsministerium nichts von der EU-Entscheidung gewusst. Ein Sprecher der EU-Kommission erklärte jedoch: „Das Mindeste, was wir alle erwarten können, ist, dass die Mitgliedsstaaten diese Empfehlung auch umsetzen“. Wie positionieren sich nun also die heimischen Abgeordneten zur derzeitigen Lage?

Nezahat Baradari, SPD

Beim deutschen Sonderweg einer Verkürzung der Genesenenzeit bezog sich Nezahat Baradari auf das RKI. Es gebe wissenschaftliche Ergebnisse, dass die Antikörperspiegel bereits nach drei Monaten abnehmen. Aus Sicherheitsgründen empfiehlt es sich daher, nicht abzuwarten, bis die Antikörperspiegel rapide abnehmen und kaum noch Schutz bieten.

Die Kinderärztin halte die Verkürzung des Genesenenstatus für sinnvoll. Denn um weiterhin möglichst sicher vor einer schweren Corona-Infektion zu sein, sollte nicht abgewartet werden, bis der Antikörperspiegel so sehr fällt, dass vor dem Coronavirus kaum Schutz gegeben ist. Daher sei jede einzelne Impfung, aber insbesondere die Boosterimpfung nach 90 Tagen wichtig und richtig.

Die Regelung werde aller Voraussicht nach schnellstmöglichst, wahrscheinlich noch am Donnerstag, 27. Januar, angepasst. Weiterhin sprach Baradari folgenden Punkt an: „Es sollte eine Debatte darüber geführt werden, dass willentlich ungeimpfte Abgeordnete im selben Ausschuss-Saal sitzen und die Gesundheit von anderen Abgeordneten und ihren Mitarbeitern gefährden.“

Florian Müller, CDU

Die Entscheidung, die Dauer des Genesenenstatus zu verkürzen, müsse medizinisch begründet sein und nicht politisch. Müller äußerte sich hierzu wie folgt: „Es ist für mich nicht nachvollziehbar, warum für Abgeordnete Sonderrechte gelten sollen. Als CDU/CSU haben wir am Montag, 24. Januar, von diesen Sonderrechten erfahren. Wir haben die Bundestagspräsidentin gebeten, unverzüglich diesen Sonderstatus aufzuheben. Dass Abgeordnete hier anders behandelt werden sollen, ist absurd und hat mit Demokratie nichts zu tun.“

Der Bundestagsabgeordnete verstehe nicht, warum Deutschland einen Alleingang in Europa starte, nachdem die Mitgliedsstaaten der EU sich per Beschluss auf eine einheitliche Regelung von sechs Monaten geeinigt haben. Die Verkürzung des Genesenenstatus' mit so einer „Hau-Ruck-Aktion“ sei an sich schon fragwürdig, im internationalen Alleingang wirke die Entscheidung überhastet und unüberlegt.

„So wirbt man nicht für Vertrauen“

Sie stelle die Menschen vor große Probleme, da sie von einem Tag auf den anderen ihren Status verloren haben und plötzlich nicht mehr in Restaurants gehen oder einen geplanten Urlaub nicht mehr antreten können.

Müller erwarte, dass eine so weitreichende Entscheidung mit ausreichend Vorlauf angekündigt und wissenschaftlich sauber begründet wird. Beides sei ausgeblieben. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach habe diese Entscheidung nicht angekündigt. Der CDU-Abgeordnete gab zu Bedenken: „So wirbt man nicht für Vertrauen. Vertrauen ist aber besonders in dieser Phase der Pandemie unglaublich wichtig.“

Peter Liese, EVP und CDU

Die Sonderregelung hält der EVP-Europaabgeordnete und CDU-Politiker Peter Liese für merkwürdig. Im Europäischen Parlament habe er sich immer dafür eingesetzt, dass auch für die Parlamentarier die gleichen Regeln gelten wie für die Bürger. Die Kritik seiner Partei-Kollegen im Bundestag teile er.

Dass das Thema hohe Wellen schlage sei für Liese verständlich: „Ich kann die Verwunderung und Empörung aus der Bevölkerung nachvollziehen. Inhaltlich kann man unterschiedlicher Meinung sein, aber die Art und Weise, wie die Ampel das Thema behandelt hat, stiftet Verwirrung. Die Kommunikation war nicht gut.“

Liese, selbst Arzt, kann aus medizinischer Sicht die Verkürzung auf drei Monate durchaus vertreten, da der Schutz nach einer Infektion zum Teil sehr schnell nachlasse. Problem bei dem Schutz nach der Infektion sei, dass im Gegensatz zur Impfung die Dosis sehr unterschiedlich sei. Bei der Impfung erhalte man eine definierte Dosis Impfstoff, bei einer Infektion könne man nur sehr wenig Viren erhalten oder sehr viel. Entsprechend unterschiedlich sei die Immunantwort und der daraus resultierende Schutz.

Problematisch sei aber, dass das Ganze über Nacht verkündet wurde und damit Chaos verursacht. Europarechtlich ist die Entscheidung nicht anzugreifen, da die europäischen Regeln immer erlauben strenger zu sein. Nicht nur die Bürger in Deutschland, auch die Kollegen aus anderen europäischen Ländern, zum Beispiel aus den Niederlanden, wurden mit der Entscheidung überrascht. Lieses Fazit: „Das Ganze hätte man in Ruhe vorbereiten und auch mit den Nachbarn absprechen müssen.“

Johannes Vogel, FDP

In einer Erklärung schildert FDP-Bundestagsabgeordneter Johannes Vogel seine Sicht der Dinge: „Die Verkürzung des Genesenenstatus kam unangekündigt und war deshalb eine Zumutung für Menschen und Unternehmen. Es war notwendig, dass am Montag, 24. Januar, bereits klargestellt wurde, dass sich dies nicht wiederholen darf. Zudem müssen wir darauf achten, dass wir in der Europäischen Union möglichst einheitlich vorgehen. In der Frage des Genesenenstatus muss aber in jedem Fall die Allgemeinverfügung des Deutschen Bundestages angepasst werden. Wir werden das am Donnerstag im Ältestenrat ansprechen. Die Allgemeinverfügung der Bundestagspräsidentin für das Parlament muss natürlich jeweils entsprechend der generellen Regeln geändert werden.“

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