365 Tage Krieg: Eine ukrainische Familie aus Meggen erzählt...

Schwere Krankheit überschattet Neuanfang


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Olena und Ihor (rechts) aus der Ukraine erzählen, wie sie nach Deutschland gekommen sind. von privat
Olena und Ihor (rechts) aus der Ukraine erzählen, wie sie nach Deutschland gekommen sind. © privat

Meggen. Genau ein Jahr ist es heute her, als am 24. Februar 2022 der Krieg in der Ukraine begann. Das Leben vieler Ukrainer hat sich seitdem komplett verändert. So wie das von Ihor, Olena und ihrem Sohn Mykhailo (Michael) aus Dnipro. Seit fast zehn Monaten leben sie nun in Lennestadt. LokalPlus hat die kleine Familie in ihrer Meggener Wohnung besucht. Eine Begegnung, die ans Herz geht.


Nah beieinander sitzen Ihor und Olena auf der kleinen Couch in ihrem Wohnzimmer. Im Gespräch helfen sie sich gegenseitig beim Verständigen, unterhalten sich, lächeln sich an. Schlimme Monate liegen hinter dem Ehepaar: Nicht nur der Krieg in ihrem Heimatland überschattet ihr Leben, sondern auch die Leukämie, gegen die die 33-jährige Olena seit zwei Jahren kämpft.

Den Beginn des Krieges erlebt das Paar nicht in seinem Heimatland: Nach der Transplantation von Knochenmark, das ihre Mutter Galina ihr gespendet hat, wird Olena in Istanbul behandelt. Ihor ist bei ihr, Sohn Michael lebt bei der Familie in Dnipro. Auch an dem Tag, als Russland die Ukraine angreift - eine furchtbare Situation für die Eltern.

Eltern und Kind getrennt

Als es seiner Frau immer schlechter geht, ruft der junge Mann seine Schwiegermutter an: „Komm mit Michael nach Istanbul, wenn ihr Olena noch einmal sehen wollt.“

Als die Vier wieder vereint sind, nimmt Ihor Kontakt zu Matthäus Wanzek von „Lennestadt hilft“, den er über seinen Bruder kennt, auf. Denn: Eine Rückkehr in die Ukraine ist für die Familie nach dem 24. Februar 2022 keine Option mehr. Die medizinische Versorgung im Land ist nicht mehr gegeben. Ihor opfert alle finanziellen Mittel der Familie, um seiner Frau zu helfen.

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Ihor (36) opfert sich für seine Familie auf. Er zeigte sich dankbar und gerührt über die Unterstützung, die er in Lennestadt erhalten hat.

Mit Unterstützung von Matthäus kann die Familie nach Deutschland reisen. An Karfreitag kommen sie hier an. „Und da begann unser Wunder“, sagt Ihor. Sie wohnen zunächst in der Flüchtlingsunterkunft in Saalhausen. Da das Immunsystem von Olena aber extrem geschwächt ist, muss schnell eine eigene Wohnung mit der Möglichkeit zur Isolation her. Dank der Unterstützung des “Lennestadt hilft“-Teams können sie im Mai nach Meggen ziehen.

Familie erfährt große Unterstützung

In eine Wohnung, in der sich das Paar bis heute mit großen Augen umblickt: „So eine Wohnung können sich in der Ukraine nur reiche Menschen leisten“, weiß Ihor. Das meiste Inventar ist gespendet. Bis heute ist die Familie gerührt von der enormen Spendenbereitschaft und der großartigen Unterstützung der Menschen hier.

Während die 55-jährige Galina in die Ukraine zurückkehrt, bleiben Ihor, Olena und Michael in Meggen. Und die junge Mutter kann dank der Unterstützung von Dr. Mönninghoff aus Meggen und Dr. Clemens Müller-Naendrup aus Olpe schnell die dringend benötigte Behandlung in der Uniklinik Köln beginnen.

Regelmäßig muss Olena nach Köln zur Behandlung ihrer Leukämie. von privat
Regelmäßig muss Olena nach Köln zur Behandlung ihrer Leukämie. © privat

14 Mal ist sie seitdem dort gewesen, immer von Menschen des Helferteams oder aus der Kirchengemeinde dorthin transportiert. „Wir sind so unendlich dankbar dafür“, betonen Ihor und Olena. Und verkünden strahlend: „Die Behandlung ist erfolgreich. Es geht aufwärts.“

Die Familie vermisst ihre Heimat. Gerne möchte sie zurück in die Ukraine, wo Ihor als Agronom tätig war. Ihre Stadt Dnipro werden sie jedoch kaum wiedererkennen. Sie wird zuletzt am 14. Januar von Raketen getroffen. Viele Menschen in der Stadt sterben.

Haus in Dnipro steht noch

Die Familie ist regelmäßig mit Freunden und Verwandten im Austausch und bekommt das Leid im Land somit ganz nah mit. Ihor: „Freunde und Verwandte kämpfen gerade, viele Freunde sind gefallen. Mein Gehirn blockiert diesen Horror... Aber meine Frau und ich sind in Gedanken immer bei den Menschen in der Ukraine.“

Im Vordergrund stehen jetzt Olenas Behandlung und der schulische Werdegang des neunjährigen Michaels. Sollte der Schüler der Franziskus-Grundschule Meggen am Gymnasium angenommen werden, möchte die Familie gerne in Lennestadt bleiben.

Die Fahrradhelme waren die erste größere Anschaffung der kleinen Familie in Deutschland. Ihr Wunsch: ab dem Frühling hin und wieder etwas Fahrrad zu fahren, damit Olena ihre Kondition verbessern kann. von privat
Die Fahrradhelme waren die erste größere Anschaffung der kleinen Familie in Deutschland. Ihr Wunsch: ab dem Frühling hin und wieder etwas Fahrrad zu fahren, damit Olena ihre Kondition verbessern kann. © privat

„Hier ist ein besserer Ort für unsere aktuelle Situation. Der Arzt, die Apotheke, die Schule, der Supermarkt: Alles ist innerhalb weniger Minuten erreichbar“, sagt Ihor. Und erzählt lächelnd von einem großen Wunsch der Familie: „Wir möchten gemeinsam Fahrrad fahren.“

Helme hat er schon gekauft - die erste größere Anschaffung in Deutschland. Was noch fehlt, ist ein E-Bike für seine Frau. „Sie schafft es auf einem normalen Rad noch nicht, durch die Sauerländer Berge zu fahren.“

Ihors ehrenamtliches Engagement

Der Familienvater gibt zurück, was er kann. Regelmäßig packt er bei Hilfsaktionen mit an, wenn Kräfte gebraucht werden. So hilft er etwa mit, als eine komplette Attendorner Zahnarztpraxis in einen Lkw verladen wird.

Für die Gesundheit seiner Frau hat Ihor alles aufgegeben. Seine finanzielle Sicherheit, sein altes Leben. Eine Familie, eine Einheit. Neben dem Wohl seiner Familie hat er einen großen Wunsch: „Ich hoffe, dass die Ukraine den Krieg gewinnt!“

Friedensgebet in Meggen

Der Pastorale Raum Lennestadt lädt anlässlich des ersten Jahrestages des russischen Überfalls auf die Ukraine zum Friedensgebet am Freitag, 24. Februar, 17 Uhr, in die Pfarrkirche Meggen ein. Der Gottesdienst wird vorbereitet und gestaltet von Mitarbeitern der katholischen Kirchengemeinde Meggen, der Aktion „Lennestadt hilft#viele Hände für die Hoffnung“ sowie Kindern und Jugendlichen aus der Ukraine, die derzeit in Begleitung von Pastor Vladimir Drebot in Welschen Ennest wohnen. Die musikalische Gestaltung übernehmen Dirk Budde (Orgel) und die Band der Kirchengemeinde. Im Anschluss besteht die Möglichkeit zu Begegnung und Gespräch bei einer Tasse Tee im Pfarrheim Meggen.

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