Berufswahl in Zeiten von Corona: Schüler und Eltern „hängen in der Luft“

LokalPlus-Interview / Große Telefonaktion am 17. März


  • Kreis Olpe, 03.03.2021
  • Wirtschaft
  • Von Kerstin Sauer
    Profilfoto Kerstin Sauer

    Kerstin Sauer

    Redaktion


    E-Mail schreiben
Topnews
 von geralt, pixabay.com
© geralt, pixabay.com

Kreis Olpe. Schule – und dann? Schon während der Schulzeit machen sich Jugendliche, aber vor allem auch ihre Eltern, Gedanken über die berufliche Zukunft. Dort, wo in „normalen Zeiten“ Beratungsgespräche, Berufsfelderkundungen und Praktika eine Orientierungshilfe geben, dürfen diese Angebote aufgrund der Pandemielage schon seit Monaten nicht stattfinden. Schüler und Eltern hängen förmlich in der Luft, weiß auch Christof Heimes, Regionalkoordinator Berufswahl beim Kreis Olpe.


Welche Angebote zur Berufswahlorientierung gibt es normalerweise?

Da sind zum einen die an jeder Schule verpflichtenden Standardelemente wie Potentialanalyse, Berufsfelderkundung und Praktika sowie Angebote der Studienorientierung in der Oberstufe. Darüber hinaus organisieren die meisten Schulen noch weitergehende Angebote, wie z. B. den Talentcheck des Regionalen Bildungsnetzwerks oder schulinterne Berufsmessen. Außerdem findet ja jedes Jahr im Mai die große Berufsmesse der heimischen Unternehmen in der Olper Stadthalle statt.

Nicht vergessen werden darf auch, dass die Berufsberatung regelmäßig an den Schulen präsent ist und Sprechstunden anbietet. Daneben gibt es ebenfalls Angebote der IHK und der Handwerkskammer, wie z. B. die sogenannten Ausbildungsbotschafter. Das sind geschulte Auszubildende, die die Schüler von peer zu peer über unterschiedliche Ausbildungsberufe informieren.

Die Kontaktbeschränkungen und Corona-Auflagen haben auf die Angebote eine immense Auswirkung: Wie ist die aktuelle Lage?

Wichtigste Voraussetzungen für eine Entscheidung für einen Beruf sind praktische Erfahrungen. Die kann man nur im Rahmen einer Berufsfelderkundung und vor allem während eines Praktikums machen. Aber gerade diese Berufsorientierung vor Ort ist momentan stark eingeschränkt, weil viele Unternehmen ihre Mitarbeiter ins Homeoffice geschickt haben und aus Sorge vor einer erhöhten Ansteckungsgefahr keine Externen in ihren Betrieb reinlassen, also auch keine Praktikanten. Einige Beratungsangebote kann man zwar auch digital in einer Videokonferenz machen, doch die können den persönlichen Kontakt nicht ersetzen.

Christof Heimes, Regionalkoordinator Berufswahl beim Kreis Olpe. von privat
Christof Heimes, Regionalkoordinator Berufswahl beim Kreis Olpe. © privat

Welche Rolle spielen Eltern bei der Berufswahl ihrer Kinder?

Auf die Berufswahl ihrer Kinder haben Eltern einen viel größeren Einfluss, als sie glauben. Verschiedene Studien belegen, dass Eltern für Jugendliche die wichtigsten Helfer bei der Entscheidung für einen Beruf sind. Sie sind Vorbilder, vermitteln Werte und Einstellungen zu Beruf und Arbeit, sind gefragte Ratgeber sowie rege Unterstützer beim Sammeln und der Auswertung von Informationen.

Neigen Schüler und Eltern, die nicht ausreichend beraten wurden, aus Unsicherheit eher dazu, weiterhin den schulischen Weg zu gehen?

Das ist verständlicherweise so; auf Unbekanntes lässt man sich nur sehr schwer ein. Schule ist Eltern und ihren Kindern bekannt, da geht man scheinbar kein Wagnis ein. Dieses Verhalten beobachten wir auch in Zeiten ohne Corona. Die Gefahr ist aber häufig, dass die Anforderungen eines weiterführenden Schulweges erfahrungsgemäß viele junge Menschen überfordern.

Welche Bedeutung hat dabei, dass aufgrund der Pandemie viele Branchen stark belastet sind?

Durch den Lockdown sind tatsächlich einige Branchen, wie der Hotel- und Gaststättenbereich, Teile des Einzelhandels und Friseure stark belastet und bieten aus Sicht der Jugendlichen und ihrer Eltern keine sichere Perspektive. Aber es gibt bei uns immer noch ein großes Angebot an zukunftsträchtigen Ausbildungsplätzen in Industrie, Handwerk und im Dienstleistungsbereich.

Wie ist der generelle Trend nach Klasse 10: Ausbildung oder weiter Schule?

Der generelle Trend - unabhängig von Corona – ist, dass immer mehr Schulabgänger nach Klasse 10 eine weitere Schullaufbahn anschließen, z. B. um einen höheren Abschluss zu erreichen. Dagegen ist grundsätzlich auch nichts einzuwenden. Problematisch ist nur, wenn die schulischen Herausforderungen das eigene Potenzial überfordern. Dann kann sich ein solcher Weg sogar negativ auf eine berufliche Zukunft auswirken.

Ich gebe mal ein Beispiel: Im Jahr 2014 hatte ich die Leitung einer Klasse 10 an einer Hauptschule. Von diesen Schülern begann ca. die Hälfte eine Ausbildung, einige auch im Handwerk. Die haben schon lange ihren Abschluss und stehen ihren Mann / ihre Frau im Beruf. Erst letzte Woche hat einer dieser ehemaligen Schüler meine Heizung repariert.

Ich kenne aber auch zwei Schülerinnen, die erst fünf oder sechs Jahre später den Weg in eine Ausbildung gefunden haben, die sie im Prinzip auch direkt nach Klasse 10 hätten beginnen können.

Es gibt verschiedene Wege zum Beruf. Können Sie uns einen kurzen Überblick geben?

Für einen kurzen Überblick sind die Wege in den Beruf einfach zu vielfältig. Was man aber festhalten kann: Unser Bildungssystem, und das schließt auch das Berufsbildungssystem ein, ist sehr durchlässig. Das heißt, wenn man sich erst einmal für eine Ausbildung entscheidet, sei es nach Klasse 10 oder nach dem Abitur, bedeutet das keine Sackgasse. Man kann den Techniker draufsatteln oder den Meister, im kaufmännischen Bereich kann man nebenberuflich den Betriebswirt machen oder man geht noch komplett zur Uni. Wenn man die Meisterprüfung bestanden hat, braucht man in vielen Studiengängen noch nicht einmal das Abitur.

Telefonaktion bei LokalPlus

Am Mittwoch, 17. März, findet von 16 bis 19 Uhr in Zusammenarbeit mit LokalPlus eine große Telefonaktion „Berufswahlinfos für Eltern“ statt. Experten unterschiedlicher Institutionen - beispielsweise von Berufskolleg, IHK, Universität Siegen, Agentur für Arbeit und Handwerkskammer - beantworten dann am Telefon Fragen rund um das Thema Berufseinstieg. Wer die Experten sind und wie ihr sie erreichen könnt, erfahrt ihr hier am Mittwoch, 10. März.

Artikel teilen: