„Krankfeiern“? Was die neue arbeitsgerichtliche Rechtsprechung dazu sagt

Bemerkenswerte Wende bei der Beurteilung des Beweiswerts


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Kreis Olpe. Vielerorts erleben Arbeitgeber, dass Arbeitnehmer nach einer Kündigung „krankfeiern“. Diese Problematik scheint auch Gehör bei der obergerichtlichen und höchstrichterlichen Rechtsprechung der Arbeitsgerichte gefunden zu haben. Die Arbeitsgerichte haben bei der Beurteilung des Beweiswerts einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eine bemerkenswerte Wende vollzogen.


Schon seit einiger Zeit geht das Bundesarbeitsgericht (BAG) davon aus, dass dann, wenn ein Arbeitnehmer von sich aus kündigt oder ihm vom Arbeitgeber gekündigt wird und er sich anschließend quasi passgenau vom Ausspruch der Kündigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist arbeitsunfähig krankschreiben lässt, rechtlich erhebliche Zweifel an dem Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bestehen.

Das Landesarbeitsgericht Köln (Urteil vom 7. August 2024 - 8 Sa 129/23 -) hat dazu nochmals klargestellt, dass neben der zeitlichen Koinzidenz keine weiteren Umstände erforderlich sind, die Zweifel zu rechtfertigen. Auch geringe Abweichungen in den Daten reichen seiner Ansicht nach nicht, die Zweifel auszuräumen.

Aktuelle Rechtssprechung zum Thema

Auch in anderen Fällen der Anerkennung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ist die Rechtsprechung restriktiver geworden. In einer recht aktuellen Entscheidung entschied das BAG (Urteil vom 15. Januar 2025 -5 AZR 284/24 -), dass der Beweiswert einer im Nicht-EU-Ausland ausgestellten ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert sein kann, wenn nach der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung des zu würdigenden Einzelfalls Umstände vorliegen, die zwar für sich betrachtet unverfänglich sein mögen, in der Gesamtschau aber zumindest ernste Zweifel am Beweiswert der Bescheinigung begründen.

Worum ging es? In der Zeit vom 22. August bis zum 9. September 2022 gewährte der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer Urlaub, den dieser in seiner Heimat Tunesien verbrachte. Mit einer E-Mail vom 7. September 2022 teilte der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber mit, dass er bis zum 30. September 2022 „krankgeschrieben und arbeitsunfähig“ sei. Beigefügt war ein in französischer Sprache verfasstes Attest vom selben Tag eines tunesischen Arztes.

Symbolfoto von Pixabay.com
Symbolfoto © Pixabay.com

Nach der Übersetzung bescheinigte der Arzt, dass er den Arbeitnehmer untersucht habe, dieser an „schweren Ischiasbeschwerden“ im engen „Lendenwirbelkanal“ leide, er deshalb 24 Tage strenge häusliche Ruhe bis zum 30. September 2022 benötige und er sich während dieser Zeit nicht bewegen und reisen dürfe. Einen Tag nach dem Arztbesuch buchte der Arbeitnehmer am 8. September 2022 ein Fährticket für den 29. September 2022 und reiste an diesem Tag mit seinem PKW zunächst mit der Fähre von Tunis nach Genua und dann weiter nach Deutschland zurück.

Danach legte er dem Arbeitgeber eine Erstbescheinigung eines an seinem Wohnort in Deutschland niedergelassenen Facharztes für Orthopädie vom 4. Oktober 2022 vor, in der Arbeitsunfähigkeit bis zum 8. Oktober 2022 bescheinigt wurde. Das alles passte natürlich nicht zusammen. Die Entscheidung zeigt indessen einmal mehr, dass sich das BAG doch zunehmend dazu durchringt, dem leider allzu häufigen Missbrauch von ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen Grenzen aufzuzeigen.

Erleichterungen hinsichtlich Darlegungs- und Beweislast

Das Landesarbeitsgericht Sachsen (Urteil vom 20. September 2024 - 4 Sa 241/22 -) entschied, dass dem Arbeitgeber, der sich auf eine Fortsetzungserkrankung beruft, hinsichtlich der ihn treffenden Darlegungs- und Beweislast Erleichterungen zuzubilligen sind. Schließt sich eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im engen zeitlichen Zusammenhang an eine weitere Arbeitsunfähigkeit an, ist dies regelmäßig ein hinreichend gewichtiges Indiz für das Vorliegen eines einheitlichen Verhinderungsfalles.

Symbolfoto von Pixabay.com
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Wenn zwischen Ende der ersten Arbeitsunfähigkeit und der danach neu attestierten Arbeitsunfähigkeit lediglich ein Wochenende liegt, ist der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert. Arbeitgeber sollten nach dieser Rechtsprechung bei wiederholten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen diese genau prüfen. Wenn nämlich stets immer eine „Erstbescheinigung“ erscheint, ist der Arbeitgeber immer wieder in der Zahlpflicht. Dann sollte er auch beim Medizinischen Dienst der Krankenkassen nachfragen.

Krankschreibungen über die Weihnachtstage

Das LAG Niedersachsen (Urteil vom 18. April 2024 - 6 Sa 416/23 -) entschied, dass der Beweiswert einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert sein kann, wenn ein Arbeitnehmer 25 Tage über die Weihnachtsferien arbeitsunfähig krankgeschrieben ist. Gemäß § 5 IV der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie des gemeinsamen Bundesausschusses darf in der Regel nämlich nur für zwei Wochen krankgeschrieben werden. Das LAG erklärte zudem die Krankschreibung durch den Arzt über Telefon im Einzelfall für unwirksam, weil diese grundsätzlich nur bei leichten Erkrankungen möglich sei.

Haben Arbeitgeber den Verdacht, dass eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu Unrecht ausgestellt wurde, kann eine Überprüfung anhand der neueren arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung erfolgreich sein.

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