Was passiert nach dem 31. Oktober mit der Flüchtlingsunterkunft Carpe Diem?

„Die Menschen sind verzweifelt“


  • Kirchhundem, 25.08.2023
  • Ukraine
  • Von Kerstin Sauer
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Von einst 120 geflüchteten Ukrainern leben heute noch 83 Menschen im ehemaligen Hotel „Carpe Diem“ in Schwartmecke. Der Unterkunft droht das Aus, finanzielle Hilfe wird dringend benötigt. von Tine Schmidt
Von einst 120 geflüchteten Ukrainern leben heute noch 83 Menschen im ehemaligen Hotel „Carpe Diem“ in Schwartmecke. Der Unterkunft droht das Aus, finanzielle Hilfe wird dringend benötigt. © Tine Schmidt

Kirchhundem/Schwartmecke. „Ich könnte jeden Tag weinen.“ Ariane Metzner ist verzweifelt: Der Flüchtlingsunterkunft im ehemaligen Hotel „Carpe Diem“ in Schwartmecke, deren Leiterin sie ist, droht die Schließung (LokalPlus berichtete, siehe Link weiter unten). Zwar konnte die komplette Aufgabe der Unterkunft zum 31. August verhindert werden, gesichert ist eine Weiterführung derzeit aber nur bis zum 31. Oktober.


Was fehlt, ist Geld. Monatlich muss eine Lücke von rund 20.000 Euro gedeckt werden. Obwohl in der Unterkunft ukrainische Frauen selbst kochen und die Bewohner putzen und für Ordnung sorgen, fallen natürlich Kosten an. Betrieben wird das Haus von der Hilfsorganisation ADRA Deutschland und der Tochterorganisation Adra soteria gGmbH, die es von einer Eigentümerfamilie aus Bayern gemietet hat.

Von 120 ukrainischen Flüchtlingen, die hier lebten, sind derzeit noch 83 in Schwartmecke. Viele musste ausziehen, einige sind in Sozialwohnungen in der Fritz-Erler-Siedlung in Kreuztal untergekommen.

Völlig unverständlich für Ariane Metzner: „Bei uns leben viele ältere Menschen und auch Familien, die nach dem Krieg wieder zurück in die Heimat möchten. Sie sind verzweifelt und möchten gar keine eigene Wohnung, die bürokratischen Hürden und die Sprachbarrieren machen ihnen Angst.“

Was die Leiterin der Unterkunft absolut nicht nachvollziehen kann: „Wenn die Menschen in eigene Wohnungen ziehen, kostet das den Staat doch viel mehr.“ Außerdem sei der soziale Wohnraum in Deutschland so knapp, auf 100.000 Wohnungen kämen eine Million Bewerber – und da sollen sich jetzt auch noch die Menschen aus der Ukraine einreihen?

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Knapp 142 Euro erhält die Hilfsorganisation ADRA pro Flüchtling und Monat, Heizungs- und Stromkosten inbegriffen. Hinzu kommt der Essenszuschuss von 6,50 pro Tag (Kinder 4,50 Euro), die die Bewohner entrichten müssen. Dafür erhalten sie drei umfangreiche Mahlzeiten am Tag. Metzner: „Hätten wir 30 Euro mehr pro Person, wäre die Lage viel besser.“

Gemeinde unterstützt, soweit sie kann

Doch die können nicht so einfach bezahlt werden. Verena Gräbener, allgemeine Vertreterin des Kirchhundemer Bürgermeisters, erklärt den Hintergrund: „In der EU gilt die Massenzustrom-Richtlinie. Das heißt, dass jeder ukrainische Flüchtling, der seinen Lebensunterhalt nicht aus Einkommen und/oder Vermögen sicherstellen kann, sobald er registriert ist, im Bürgergeld bzw. beim Sozialamt landet und die Regelleistung sowie einen Anteil an den Kosten der Unterkunft erhält.“

Genau das zahlt die Gemeinde Kirchhundem bzw. das Jobcenter des Kreises – doch das Geld reicht nicht, um die Kosten zu decken.

Neue Zuweisungen bei Schließung

Dass die Unterkunft für die Gemeinde von großer Bedeutung ist, steht für Verena Gräbener außer Frage: „Wir sind froh und dankbar, dass die Möglichkeit da ist, Menschen aus der Ukraine dort unterzubringen. Das wird auf die Flüchtlingsquoten der Gemeinde angerechnet, daher sind wir momentan in der ‚Übererfüllung‘.“ Soll heißen: Derzeit muss die Gemeinde keine weiteren Flüchtlinge unterbringen. Sollte das „Carpe Diem“ aber geschlossen werden, bekommt die Gemeinde wieder Flüchtlinge zugewiesen.

„Wir unterstützen, wo wir können“, betont Verena Gräbener, fügt aber hinzu: „Wir haben mehrere Möglichkeiten geprüft. Im Moment sehen wir keine Lösung.“

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Die Zusammenarbeit mit der Gemeinde lobt auch Unterkunftsleiterin Ariane Metzner: „Die Mitarbeiter haben uns immer stark unterstützt, vor allem bei der Abwicklung der Bürokratie.“ Gerade mit Blick auf die Quote in der Gemeinde Kirchhundem sagt sie: „Es ist für alle eine Win-Win-Situation.“

Ob es so bleibt, steht in den Sternen. Jeder Ukrainer, der auszieht oder nicht aufgenommen werden kann, stimmt Ariane Metzner traurig. „Das Haus der Nichte eines Bewohners wurde bombardiert, er stand weinend vor mir und fragte, ob sie und ihre Tochter kommen dürfen. Angesichts der ungewissen Zukunft unseres Hauses musste ich ablehnen…“

Eine enge Gemeinschaft

In ihrem Haus habe sich inzwischen eine enge Gemeinschaft gebildet. Metzner: „Die Menschen sind so dankbar. Aber auch so verzweifelt.“ Sie hofft, dass sich noch eine Lösung findet: „Wenn es Menschen geben würde, die uns bei den fehlenden Kosten unterstützen, damit es weiter geht…“ Spenden-Quittungen, so sagt sie, können selbstverständlich ausgestellt werden.

Kontakt

Zu erreichen ist Ariane Metzner unter kirchhundem@adra.de.

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