Vier Helfer berichten von ihrer Reise, von Tränen und besonderen Menschen

Lennestadt hilft – vor Ort an der ukrainischen Grenze


  • Kreis Olpe, 09.04.2022
  • Ukraine
  • Von Kerstin Sauer
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Großeinkauf in der polnischen Metro: Mit Spenden aus Lennestadt haben die vier Helfer so viel eingekauft, dass die Menschen in der Flüchtlingsunterkunft eine Woche lang versorgt werden können. von privat
Großeinkauf in der polnischen Metro: Mit Spenden aus Lennestadt haben die vier Helfer so viel eingekauft, dass die Menschen in der Flüchtlingsunterkunft eine Woche lang versorgt werden können. © privat

Lennestadt. Wochenlang haben sie von Lennestadt aus geholfen: Spenden gesammelt, Hilfe koordiniert, Busse beladen, Flüchtlinge betreut. Und mit jedem Tag wuchs bei Matthäus, Sabine, Barbara und Sarah der Wunsch, einmal selbst Richtung Ukraine zu fahren und vor Ort Hilfe anzubieten. Ihren Wunsch haben sie sich jetzt erfüllt – und von ihrer Reise etwas ganz Besonderes mit in die Heimat gebracht.


Hilfe persönlich dorthin bringen, wo sie dringend gebraucht wird – das ist das Ziel der Vier, als sie sich am Montagnachmittag, 28. März, mit einem vom Autohaus Baumhoff gesponserten VW Bulli auf den Weg Richtung Polen machen.

Erster Stopp: der Bauernhof von Matthäus‘ Onkel in Polen. „Dort war die Welt noch in Ordnung“, erinnert sich Matthäus und erzählt von 15 Flüchtlingen, die sein Onkel aufgenommen hat. Am nächsten Morgen geht es weiter.

Ankunft am Ziel

In der Nacht auf Mittwoch, 30. März, erreichen sie Rzeszow, die letzte Großstadt vor der Grenze. Matthäus erzählt: „Es war dunkel. Wir haben viele Polizeikonvois und Militärfahrzeuge gesehen, überall war Blaulicht.“ Lange suchen die Vier nach einer Unterkunft, kommen letztlich in einem extrem einfachen Hotel unter.

Am Mittwochmorgen, im ersten Tageslicht, können sie dann erstmals genau sehen, was vor Ort los ist. Sie wundern sich: „Alles schien normal, ruhig und geordnet zuzugehen“, erzählt Matthäus. Das öffentliche Leben scheint von dem Krieg im Nachbarland kaum beeinträchtigt zu sein.

„Ab da waren wir in einer anderen Welt“

Bis zu dem Moment, als Sabine, Barbara, Sarah und Matthäus die Anlaufstelle für Flüchtlinge erreichen, die im obersten Geschoss eines Einkaufszentrums untergebracht ist. „Wir gingen die Treppen hoch. Öffneten die Tür. Und ab da waren wir in einer anderen Welt.“

Die vier Sauerländer stehen in einer Erstaufnahmeeinrichtung mit 500 Betten, dicht an dicht auf der Etage verteilt. Überall Frauen und ihre Kinder, nur wenige Männer sind zu sehen. 280 geflüchtete Ukrainer sind hier zu dem Zeitpunkt untergebracht.

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„Die Koordinatorin sagte zu uns, dass die Hilfsbereitschaft langsam etwas nachlässt. Wir haben sie gefragt, wo wir helfen können.“ Die Frau führt die Sauerländer in die Küche, zeigt auf die Regale, die immer leerer werden. Die Lennestädter greifen sofort nach Zettel und Stift und schreiben mit, was dringend benötigt wird: Säfte, Brot, Nudeln, Käse, Wurst, löslicher Kaffee… Die Liste ist lang.

Mit dem Bulli fährt das Helfer-Quartett in einen Supermarkt und kauft ein. Sie bezahlen mit dem Spendengeld, das sie in Lennestadt gesammelt haben. 1.000 Euro kosten die Lebensmittel, die dafür sorgen, dass die Menschen in der dortigen Unterkunft eine Woche lang genug zu essen und zu trinken haben.

Depressive Senioren, verstörte Kinder, kranke Mütter

In einer zweiten Aufnahmestelle in Radymno, 60 Kilometer weiter Richtung ukrainische Grenze, bieten die Sauerländer auch ihre Hilfe an. Und sind schockiert, welches Bild sich ihnen dort bietet: Das Gebäude ist in die Jahre gekommen, pro Etage gibt es nur eine Dusche, die Vorräte sind fast komplett aufgebraucht. Die vier Helfer sehen depressive Senioren, verstörte Kinder, kranke Mütter. „Es war so bedrückend. Diese Menschen haben so viel Schlimmes gesehen und erlebt“, erinnert sich Matthäus.

Und wieder kaufen die vier Lennestädter ein, füllen ihren Bulli mit Lebensmitteln und bringen alles zurück in das Haus. Die beiden Damen, die die Unterkunft privat führen, sind überwältigt. Und brechen in Tränen aus, als die Gäste aus dem Sauerland ihnen das Geld für eine weitere Monatsmiete geben. „Da sind alle Dämme gebrochen. Alle haben geweint.“

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Zurück in der ersten Aufnahmestelle bieten die Vier an: „Wir haben für den Rückweg nach Deutschland bis zu fünf Plätze frei – wer möchte mit?“ Niemand meldet sich. Alle wollen dort bleiben, in der einfachen, riesigen Unterkunft – Hauptsache in der Nähe der Heimat, der Ukraine.

Erst beim zweiten Nachfragen meldet sich eine Mutter mit ihrem 17-jährigen Sohn und der einjährigen Tochter: Sie möchten mit nach Deutschland. Matthäus erinnert sich an diesen Moment: „Da standen wir vor dieser kleinen Familie und es hat gefunkt. Wir haben sofort gemerkt: Das sind ganz tolle Leute.“

Fahrt ins Unbekannte: Ukrainische Familie fährt mit nach Lennestadt

Schnell packen Julia (41), Andrii (17) und Sophia (1) ihre Habseligkeiten zusammen – und starten gemeinsam mit Matthäus, Sabine, Barbara und Sarah ihre Fahrt ins Unbekannte, nach Deutschland…

Lest morgen bei LokalPlus: Willkommen in Lennestadt – Andrii (17) erzählt über sein Leben in der Ukraine und seine ersten Tage im Kreis Olpe.

Nächste Helfer-Fahrt in Planung

Übrigens: Ende April möchten wieder einige Lennestädter Helfer in zwei Gruppen nach Polen und sogar bis in die Ukraine fahren. Für diese Hilfsfahrt wird noch dringend ein zweites Fahrzeug gesucht. Natürlich kann für diese Tour auch wieder gespendet werden. Infos gibt Matthäus Wanzek unter Tel. 0176/80 52 65 04.



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