Emotionaler Prozess nach tödlichem Unfall auf der B 236

Zwei Schülerinnen sterben: Unfallfahrer freigesprochen


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Das Amtsgericht Lennestadt in Grevenbrück. von Nils Dinkel
Das Amtsgericht Lennestadt in Grevenbrück. © Nils Dinkel

Finnentrop/Grevenbrück. Ein Mann aus Finnentrop hat sich am Dienstag, 9. August, am Amtsgericht Lennestadt verantworten müssen. Er saß wegen des Vorwurfs der fahrlässigen Tötung auf der Anklagebank. Bei bzw. nach einem schwerem Verkehrsunfall auf der B 236 zwischen Rönkhausen und Lenhausen am 21. September 2020 starben zwei 17-Jährige, die sich auf dem Schulweg befanden (LokalPlus berichtete). Der Autofahrer, der die Tragödie ausgelöst hat, wurde freigesprochen. Alles deutet auf einen medizinischen Hintergrund hin.


Die Zweiradfahrerin starb noch an der Unfallstelle; ihre Beifahrerin und Cousine erlag ihren Verletzungen sechs Tage später im Krankenhaus. Der Unfallverursacher blieb unverletzt. „Wir haben heute einen Fall zu verhandeln, der das Schlimmste ist, was passieren kann. Zwei 17-jährige Mädchen gehen aus dem Haus, wollen zur Schule fahren und sterben“, sagte Richter Edgar Tiggemann in der Urteilsbegründung.

Unstrittig sei gewesen, dass der seinerzeit 30-Jahre alte Angeklagte die Schülerinnen mit seinem Pick-Up totgefahren habe. „Auch er würde sich den Tag heute anders wünschen“, so Edgar Tiggemann. Was bleibe, sei großes Leid für alle Beteiligten.

Dies machte auch Ralf Bartmeier in seinem Plädoyer deutlich. Er vertrat die Nebenklage. Beide Familien litten bis heute an der Tragödie, die sich am Morgen des 21. September 2020 ereignete. Die Familien suchten sich professionelle Hilfe. Beide Mädchen hätten Zukunftspläne gehabt. Die eine wollte ins Ausland gehen, die andere eine Ausbildung absolvieren.

Zuckerschock sehr wahrscheinlich

Als wahrscheinlich gilt, dass der Angeklagte während der Fahrt einen Zuckerschock erlitten hat. Nach seinen Angaben habe er am Morgen seinen Blutzuckerspiegel überprüft. Dieser habe bei 97 gelegen, nachdem er routiniert seine Einheiten gespritzt habe. Auf dem Weg zur Arbeit habe er an einer Bäckerei Frühstück gekauft.

An Teile der Fahrt könne er sich nicht mehr erinnern. Er wisse noch, dass er unmittelbar vor der Kollision ein Licht auf sich zukommen sah und versucht habe, nach links in Richtung Leitplanke auszuweichen. Den Führerschein besitze er seit 2008; seit 2004 leidet der Angeklagte an Diabetes Typ 1.

Ein mögliches Ausweichmanöver sahen auch Autofahrer, die sich hinter ihm befanden. Ein Berufssoldat aus Grömitz fuhr mit seinem Opel Corsa direkt hinter dem Ford Ranger.

Zeuge fällt Fahrweise auf

Ihm fiel die Fahrweise des Angeklagten auf. Per Lichthupe und Hupe versuchte er den Angeklagten zu warnen. Zeitweise habe sich daraufhin die Fahrweise gebessert. An einige Dinge konnte sich der Zeuge allerdings nicht mehr genau erinnern.

Der Fahrer des Unfallfahrzeugs ist am Dienstag, 9. August, freigesprochen worden. von Kai Osthoff
Der Fahrer des Unfallfahrzeugs ist am Dienstag, 9. August, freigesprochen worden. © Kai Osthoff

Eine weitere Zeugin befand sich hinter dem Kraftrad. Sie holte den Angeklagten aus seinem Fahrzeug und setzte sich mit ihm auf die Leitplanke. Zunächst habe er weggetreten und wie in Schockstarre gewirkt. Sie gab ihm zwischenzeitig eine Flasche Cola, worum der Mann gebeten hatte. Andere kümmerten sich um die weiteren Unfallbeteiligten.

Kraftfahrerin reagiert vorbildlich

Der Angeklagte war mit 63 km/h mit dem Kraftrad kollidiert. Er war – das ergab die Auswertung – nicht durch sein Handy abgelenkt. Die Zweiradfahrerin hat laut verkehrsanalytischem Gutachten genau richtig reagiert. Sie reduzierte ihre Geschwindigkeit und wich zur Seite aus. Beim Zusammenstoß fuhr das Krad etwa 35 bis 46 Stundenkilometer. Am Pkw wurden keine Mängel festgestellt.

Gerichtsmedizinerin Katharina Jellinghaus aus Dortmund hielt es in ihrem Gutachten für wahrscheinlich, dass der Blutzuckerspiegel während der Fahrt gesunken und dadurch eine Bewusstseinsstörung eingetreten ist. Ähnlich wie beim Alkoholkonsum sei man eingeschränkt in der Lage, ein Kraftfahrzeug zu fahren.

Der Angeklagte hätte den Zustand nach ihrer Auffassung nicht zwingend bemerken bzw. ohne Hilfe beenden können. Für die Bewusstseinsstörung spreche, dass die Sauerstoffsättigung und der Kaliumwert ebenfalls nicht in Ordnung gewesen seien.

Der Verteidiger Jörg Peter Schmidt und die Staatsanwaltschaft forderten Freispruch; die Nebenklage bat um die Verhängung einer Geldstrafe sowie der Entziehung des Führerscheins für mindestens ein Jahr. Richter Edgar Tiggemann zweifelte die Fahrtauglichkeit ebenfalls an und riet dem Angeklagten, seinen Führerschein freiwillig abzugeben.

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