Eine Mutter fragt: „Hat die Politik unsere Kinder vergessen?“
Keine Perspektiven für Unter- und Mittelstufe
- Kreis Olpe, 01.03.2021
- Dies & das
- Von Kerstin Sauer
Kreis Olpe. Woche neun im Homeschooling für die Klassen fünf bis neun, teilweise auch zehn. „Hat die Politik unsere Kinder vergessen“, fragt eine 41-jährige Mutter dreier schulpflichtiger Kinder aus dem Kreis Olpe. Die Nerven liegen blank.
Eins vorneweg: Es läuft in der Familie der jungen Frau. Denn irgendwie läuft es ja immer. Sie schafft es, Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren, hat – „Gott sei Dank“, so sagt sie selbst – genug Kapazitäten, die Kinder in ihrem Homeschooling zu betreuen. Doch trotzdem: „Die Situation zerrt an unseren Nerven.“
Da sind die beiden Kinder, die die Grundschule besuchen und seit der vergangenen Woche wieder tageweise in die Schule dürfen. Ihr großer Sohn hingegen nicht: Der Elfjährige bleibt, im Gegensatz zu seinen Geschwistern, weiterhin im Distanzlernen, denn er besucht die fünfte Klasse einer weiterführenden Schule. Eifersüchtig beobachtet er, wie die beiden Kleineren morgens das Haus verlassen. Und er? Da ist – Stand vor dem Bund-Länder-Gipfel am Mittwoch, 3. März – keine Änderung in Sicht.
„Anfangs lief es super“, erzählt die Mutter. Relativ motiviert machten sich die Kinder tagtäglich an ihre Aufgaben, meist Wiederholungen oder Vertiefungen. „Das klappte wunderbar.“ Doch mit den Wochen änderten sich auch die Ansprüche: Plötzlich mussten sich die Kinder neue Themen selbst erarbeiten.
„Zwar mit guter Unterstützung der Schulen und engem Kontakt zu den Lehrern, die immer wieder nachfragen, wie es läuft“, betont die 41-Jährige. Fügt aber hinzu: „Es ist einfach kein Lernen wie im Klassenverband, mit dem Lehrer vorne, der kompetent erklärt – weil er es auch einfach gelernt hat – und einer Gruppe Gleichaltriger, die lernen wollen.“
Sie selbst sei einfach keine Pädagogin – das habe ihr das jüngste Kind kürzlich noch vehement zu verstehen gegeben: „Du bist noch nicht mal eine Lehrerin“, warf es ihr entgegen – und stürmte Türen schlagend aus dem Raum.
Ein Wutausbruch, den die Mutter ihrem Kind nicht einmal vorwerfen kann, denn: „Er hat ja Recht. 500 Schulstunden sind in den vergangenen Monaten ausgefallen, die wir Eltern in Zusammenarbeit mit den Schulen irgendwie versucht haben aufzufangen. Aber was kann davon hängenbleiben?“
Was fehlt, ist ein strukturierter Schulalltag. Mit dem Lehrer als pädagogischem Experten, mit den Klassenkameraden als Lerngruppe, mit der Sitzordnung in der Schule und dem Gespräch und dem Spiel in den Pausen. „Bei uns“, sagt die Mutter und deutet auf den Küchentisch, „wird hier gearbeitet. Damit ich nicht den ganzen Morgen von einem Zimmer ins andere laufe, wird morgens nach dem Frühstück der Küchentisch leer geräumt, damit Bücher und Hefte Platz haben.“
Und dann geht es los mit Rechnen und Schreiben, Englisch und Politik, deutscher Grammatik und den neuesten Regeln in Mathe. Und die Stimmung? Sinkt jeden Tag ein bisschen mehr. „Die Motivation ist hinüber“, weiß die junge Frau. Vor allem montags, wenn „der Wust an neuen Aufgaben in geballter Ladung ankommt, den es in der Woche dann abzuarbeiten gilt.“ Gezicke und Gestreite am Küchentisch gehören inzwischen zum Alltag in der Familie.
Dass die Klassen fünf bis neun nicht ohne Weiteres in der kommenden Woche wieder öffnen können, ist der 41-Jährigen vollkommen klar: „Natürlich geht das nicht bei diesen Zahlen.“ Was sie sich aber wünscht, ist eine Perspektive für die Schüler:
„Es wird immer gesagt, dass wir an die Senioren als Risikogruppe denken müssen. Das ist auch richtig. Aber ich wünsche mir, dass sich die Politiker auch mal in die Situation der Kinder versetzen, die seit Monaten zu Hause sitzen, alleine lernen, kaum Kontakte haben: Die sind in ihrer kleinen Kinderwelt gefangen und verstehen doch gar nicht, was gerade mit ihnen geschieht.“ Und, so geht die junge Frau noch einen Schritt weiter: „Was macht die Perspektivlosigkeit auf Dauer mit und aus unseren Kindern?“
Das Zuhause, in dem man sonst von der Schule abschalten und die Freizeit genießen konnte, wird da plötzlich zum Klassenraum, in dem man sich sieben Tage die Woche 24 Stunden am Tag aufhält. „Familie, Schule, Freizeit – die Grenzen verschwimmen“, sagt die junge Mutter. Und wer die Aufgaben innerhalb der Woche nicht alle bearbeitet hat, sitzt oft am Wochenende noch am Schreib- oder Küchentisch.
„Wenn wir eine Perspektive, die Hoffnung auf Besserung hätten, wäre das Durchhalten einfacher“, wünscht sich die dreifache Mutter. Doch mit Blick auf den Inzidenzwert im Kreis Olpe befürchtet sie, dass sich nicht viel ändern wird. Und dass die Unter- und Mittelstufenschüler der weiterführenden Schulen auch weiterhin „vergessen“ werden.