Dem Tod entkommen - NS-Zeitzeugin spricht über Kindheit in Theresienstadt

Michaela Vidláková am Städtischen Gymnasium Olpe


  • Olpe, 14.06.2024
  • Schule & Bildung
  • Von Pia Krämer
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Die Schülerinnen und Schüler waren beeindruckt von den Schilderungen von Zeitzeugin Michaela Vidláková. von Pia Krämer
Die Schülerinnen und Schüler waren beeindruckt von den Schilderungen von Zeitzeugin Michaela Vidláková. © Pia Krämer

Olpe. Dem Städtischen Gymnasium Olpe wurde eine besondere Ehre zuteil: mit Dr. Michaela Vidláková war am Donnerstagmorgen, 13. Juni, eine der letzten Zeitzeuginnen aus der Zeit des Holocaust zu Gast. Unterstützt durch die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Siegerland, vermittelte die 87-Jährige prägende Einblicke in ihre Kindheit im Sammellager Theresienstadt.


Mit „Guten Morgen, liebe Freunde“ eröffnet sie ihren Vortrag vor circa 100 Schülern der Jahrgangsstufen neun und elf des Olper Gymnasiums. Schnell wird es still in der Schulaula. So zerbrechlich die Zeitzeugin auf den ersten Blick wirken mag, so klar und deutlich sind die Erzählungen und Botschaften, die sie den Schülern in den folgenden zwei Stunden mit auf den Weg gibt.

Kindheit in Prag

Geboren 1936, lebt Michaela als Kleinkind zunächst mit ihren Eltern in Prag. Im Alter von zwei Jahren erlebt sie die Besetzung Tschechiens durch die deutsche Wehrmacht. Sie wird Zeugin der für Juden erlassenen Verbote und Enteignungen. Zu der für Herbst 1942 geplanten Einschulung der sechsjährigen Michaela kommt es aufgrund der beginnenden Deportationen nicht.

Die junge Familie muss sich im Dezember 1942 zu einer Sammelstelle in Prag begeben. Von dort aus wird sie per Sammeltransport in das Lager Theresienstadt gebracht. Der größere Teil aller Familien sei nicht wie sie zunächst in ein Sammellager, sondern direkt in eines der Vernichtungslager gebracht worden, berichtet Michaela Vidláková.

Zeitzeugin Michaela Vidláková war am SGO zu Gast. von Pia Krämer
Zeitzeugin Michaela Vidláková war am SGO zu Gast. © Pia Krämer

Dass ihre Familie dem Tod entkam, sieht die 87-jährige bis heute als glücklichen Zufall: Ihr Vater fand im Arbeitslager von Theresienstadt eine Beschäftigung als Zimmermann. Dies verhinderte die Deportation nach Auschwitz.

„Die zwei Jahre Theresienstadt haben bei mir tiefe Wurzeln geschlagen“, erzählt Michaela Vidláková. Es sind auch positive Erinnerungen, die der Zeitzeugin heute noch präsent sind. „Wir konnten es damals selbst kaum verstehen, aber Dinge wie Kunst waren in Theresienstadt erlaubt. Es habe sich bei Theresienstadt um einen Sonderfall, ein „Vorzeigelager“, gehandelt.

Befreiung und Leben nach Theresienstadt

Doch auch negative Kindheitserfahrungen sind immer wieder Thema ihrer Erzählungen. So überlebt Michaela im Lager bei gleichzeitiger Mangelernährung nur knapp eine Reihe schwerer Krankheiten, die jüdische Ärzte aufgrund fehlender Medikamente nur mit primitivsten Methoden behandeln konnten.

Als sich 1944 Nachrichten über ein baldiges Kriegsende im Lager herumsprechen, entgeht die Familie Vidláková wie durch ein Wunder auch dem letzten Transport ins Konzentrationslager Auschwitz. In der Nacht zuvor hat ein Sturm das Dach einer Baracke abgedeckt. Dieses muss unbedingt repariert werden, Michaelas Vater bietet seine Hilfe als Zimmermann an. So erlebt die Familie schließlich die erlösende Befreiung Theresienstadts durch die Rote Armee.

Bestrebung, etwas schaffen zu wollen

„Theresienstadt hat rückwirkend mein ganzes Leben beeinflusst“, stellt Michaela Vidláková fest. Nach dem Krieg steigt sie in die vierte Klasse der Grundschule ein, studiert später Biologie und Chemie und wird schließlich Biochemikerin.

„Die Bestrebung, etwas schaffen zu wollen, habe ich aus dem Lager mitgenommen. Sie hat mir geholfen, nach Theresienstadt ein neues Leben anzufangen“, so Vidláková.

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Britta Inden, stellvertretende Schulleiterin des Städtischen Gymnasiums Olpe, begrüßte die Schülerinnen und Schüler in der Aula.

„Warum es den Holocaust gab und wir bis heute immer wieder wachsenden Antisemitismus beobachten, diese Fragen kann auch ich nicht beantworten“, gibt Michaela Vidláková zu verstehen.

Eines stellt sie abschließend klar: den „langen Schatten der Vergangenheit“ mit einer Erinnerungskultur zu begegnen, sei zwar ein Anfang, reiche aber bei weitem nicht aus. „Viel wichtiger ist, dass die Schüler aktiv werden und etwas tun. Schließlich passiert östlich von hier gerade etwas ganz Ähnliches wie damals.“

Nach dem Vortrag suchen mehrere Schüler das Gespräch mit Michaela Vidláková, die jede Frage ausführlich beantwortet. „Diese authentischen Erlebnisse sind es“, betont die stellvertretende SGO-Schulleiterin Britta Inden, „die über die Besprechung im Unterricht hinausgehen. Zeitzeugenerzählungen sind eben keine erfundenen Geschichten, sie sind die Realität.“

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