Welche Ausgaben gelten als außergewöhnliche Belastungen im Steuerrecht?
Ermäßigungen für Krankheit und Pflege
- Kreis Olpe, 10.10.2023
- Specials
Kreis Olpe. Im neuen Teil der Serie „Ratgeber Steuern“ informiert Bilanzbuchhalterin Stefanie Brocksieper darüber, welche Steuerermäßigungen wegen außergewöhnlicher Belastung geltend gemacht werden können.
Eine Steuerermäßigung wegen außergewöhnlicher Belastung kann abgezogen werden, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen erwachsen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands.
Zwangsläufig bedeutet das, er kann sich den Aufwendungen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen. Die Aufwendungen müssen den Umständen nach notwendig sein und dürfen einen angemessenen Betrag nicht übersteigen.
Sind diese Voraussetzungen erfüllt, kann auf Antrag der Teil der Aufwendungen, der die dem Steuerpflichtigen zumutbare Belastung übersteigt, vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen werden. Zu den außergewöhnlichen Belastungen zählen zum Beispiel Krankheitskosten, Beerdigungskosten und Pflegekosten. Derartige Aufwendungen sind grundsätzlich in dem Veranlagungszeitraum zu berücksichtigen, in dem der Steuerpflichtige sie geleistet hat.
Außergewöhnliche Belastungen können nur insoweit abgezogen werden, als sie die zumutbare Belastung übersteigen, § 33 Abs. 1 EStG. Jede Belastungsgrenze wird individuell berechnet. Dafür ermittelt das Finanzamt einen Prozentsatz des gesamten Einkommens unter Berücksichtigung des Familienstands und der Anzahl der Kinder.
Nur bei Überschreitung dieser Grenze können Aufwendungen auch als außergewöhnliche Belastungen geltend gemacht werden. Dafür hilft es, das Jahr über sämtliche Belege zu sammeln, und alle Behandlungen (bei Krankheitskosten) innerhalb eines Jahres abzuschließen. So können alle Rechnungen in einem Jahr gestellt und bezahlt werden. Erstattungen/Kostenübernahmen der Krankenkassen müssen in jedem Fall gegengerechnet werden.
Einige häufig vorkommende Sachverhalte sind im Gesetz typisierend geregelt. In der Regel gehen damit besondere Abzugsvoraussetzungen und Beschränkungen der Höhe nach einher. Es handelt sind um außergewöhnliche Belastungen im Rahmen von Aufwendungen für den Unterhalt und eine etwaige Berufsausbildung (§ 33a Abs. 1 EStG) und für den Sonderbedarf eines sich in Berufsausbildung befindenden, auswärtig untergebrachten, volljährigen Kindes (§ 33a Abs. 2 EStG) sowie Pauschbeträge für Menschen mit Behinderungen, Hinterbliebenen-Pauschbeträge und Pflege-Pauschbeträge (§ 33b Abs. 1 – 3, § 33 Abs. 2a EStG, § 33b Abs. 4 EStG, § 33b Abs. 6 EStG).
In der letzten Zeit wurden einige Entscheidungen betreffend außergewöhnliche Belastungen nach § 33 EStG erlassen:
Abzug der Aufwendungen für eine operative Fettabsaugung (Liposuktion)
Der BFH hat in seinem Urteil vom 23. März 2023 Stellung zu dem Abzug der Aufwendungen für eine operative Fettabsaugung (Liposuktion) zur Behandlung eines Lipödems genommen. Nach § 64 EStDV gilt, dass Steuerpflichtige einen Nachweis der Zwangsläufigkeit von Aufwendungen im Krankheitsfall für wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethoden (zum Beispiel Frisch- und Trockenzellenbehandlungen, Sauerstoff-, Chelat- und Eigenbluttherapie) durch ein amtsärztliches Gutachten oder eine ärztliche Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (§ 275 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch) erbringen müssen.
Nun wurde aber entschieden, dass die Liposuktion eine wissenschaftlich anerkannte Behandlungsmethode ist. Eine Liposuktion kann nicht mit einer Frisch- und Trockenzellenbehandlung, Sauerstoff-, Chelat- und Eigenbluttherapie verglichen werden. Es wurde klargestellt, dass eine Liposuktion nicht kosmetischen Zwecken dient, sondern wegen des Lipödems und der damit einhergehenden Beeinträchtigung medizinisch indiziert ist.
Daher müssen diese Aufwendungen ohne Vorlage eines vor den Operationen erstellten amtsärztlichen Gutachtens oder einer ärztlichen Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen sein. Dies gilt nach der Entscheidung des BFH seit dem Jahr 2016.
Abzug von Aufwendungen für die Lieferung von Mittagessen
Das Finanzgericht Münster hat in seinem Urteil vom 27. April 2023 entschieden, dass die Aufwendungen für die Lieferung von Mittagessen nicht als außergewöhnliche Belastungen abziehbar sind. Auch wenn der Steuerpflichtige krankheitsbedingt auf die Lieferung von Mittagessen angewiesen ist, sind Aufwendungen jedoch nicht außergewöhnlich und zwangsläufig im Sinne des § 33 Abs. 1 EStG, wenn sie nicht unmittelbar zur Heilung aufgewendet werden, sondern als Folgekosten gelegentlich einer Krankheit entstehen. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH zählen die Kosten für Verpflegung, gleichgültig, in welcher Höhe sie tatsächlich anfallen, zu den üblichen Aufwendungen für die Lebensführung, welche nicht abziehbar sind.
Dies gilt ebenso für krankheitsbedingt höhere Verpflegungsaufwendungen, wie sich aus der gesetzlichen Regelung des § 33 Abs. 2 Satz 3 EStG ergibt. Hiernach können Aufwendungen, die durch Diätverpflegung entstehen, nicht als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt werden. Dies müsse umso mehr für „normale“ Verpflegung gelten.
Abzug von Aufwendungen für rollstuhlgerechte Umbaumaßnahmen im Garten
Der BFH hat in seinem Urteil vom 26. Oktober 2022, veröffentlicht am 23. März 2023, den Abzug der Aufwendungen für einen behindertengerechten Umbau des zum selbstgenutzten Einfamilienhaus gehörenden Gartens verneint. Auch wenn die Umbaumaßnahmen eine Folge der Verschlechterung des Gesundheitszustandes sind, ist der Steuerpflichtige nicht aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen verpflichtet, derartige Konsumaufwendungen zu tragen.
Die Umbaukosten sind nicht vornehmlich der Krankheit oder Behinderung geschuldet, sondern anders als die krankheits- oder behindertengerechte Ausgestaltung des individuellen (existenznotwendigen) Wohnumfelds in erster Linie Folge eines frei gewählten Freizeit- und Konsumverhaltens. Dies gilt ungeachtet des Umstands, dass die Nutzung / Bewirtschaftung eines (zum Wohnhaus gehörenden) Gartens für den Steuerpflichtigen seit jeher ein nachhaltig Lebensfreude stiftendes Hobby darstellt, welches mit zunehmender körperlicher Beeinträchtigung an Bedeutung gewinnen kann.
Im Steuerrecht wird lediglich zwischen steuererheblicher (aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen) zwangsläufiger und steuerunerheblicher beliebiger Einkommensverwendung unterschieden. Ganz leer geht der Steuerpflichtige aber bei rollstuhlgerechten Umbaumaßnahmen nicht aus. Denn in Höhe der in den Umbaukosten enthalten Lohnaufwendungen steht ihm die Steuerermäßigung für haushaltsnahe Dienstleistungen und Handwerkerleistungen (§ 35a EStG) zu.
Abzug der Kosten für den Privatschulbesuch eines hochbegabten Kindes
Das Finanzgericht Münster hat in seinem Urteil vom 13. Juni 2023 entschieden, dass die Kosten für den Privatschulbesuch eines hochbegabten Kindes keine außergewöhnlichen Belastungen darstellen. Sollte bei einem Kind eine besondere Lernbegabung und eine sehr hohe Intelligenz bestätigt werden, welche durch ein Schreiben des amtsärztlichen Dienstes festgellt wurde und die außerordentlichen intellektuellen Fähigkeiten in der Schule nicht ausreichend gefördert werden, wodurch aufgrund der ständig schulischen Unterforderung des Kindes behandlungsbedürftige psychosomatische Beschwerden auftreten und daher der Wechsel zum einem Internatsgymnasium dringend befürwortet werden, stellen die Kosten für diesen Schulbesuch aber keine außergewöhnlichen Belastungen dar.
Das Finanzgericht stellt eindeutig klar, dass die amtsärztliche Stellungnahme nicht mit einem amtsärztlichen Gutachten vergleichbar sei. Ein Nachweis der Zwangsläufigkeit liegt demnach nicht vor. Zudem handelte es sich bei den Internatskosten nicht um unmittelbare Krankheitskosten. Das Gericht stufte die Aufwendungen für den Privatschulbesuch nicht als unmittelbare Krankheitskosten, sondern als Kosten der privaten Lebensführung ein.
Abzug der Mitgliedsbeiträge für Fitnessstudio
Das Niedersächsische Finanzgericht hat in seinem Urteil vom 14. Dezember 2022 entschieden, dass Mitgliedsbeiträge für ein Fitnessstudio auch dann nicht als außergewöhnliche Belastungen abziehbar sind, wenn dort ein ärztlich verordnetes Funktionstraining (Wassergymnastik) absolviert wird. Entscheidend war, dass durch die Beitragszahlung auch andere Leistungen des Studios (zum Beispiel Saunanutzung) in Anspruch genommen werden können.
Lediglich die Fahrtkosten und die Beiträge an den Verein, welcher die Gesundheitskurse durch qualifizierte Übungsleiter durchführt, können als außergewöhnliche Belastungen in der Steuererklärung angesetzt werden. Diese Kosten sind untrennbarer Teil der eigentlichen Heilbehandlungen (der Gymnastikkurse), die aufgrund einer ärztlichen Verordnung zwangsläufig sind.
Die Beiträge an das Fitnessstudio sind hingegen nicht als außergewöhnliche Belastungen abziehbar, da sich diese Kosten nicht in Gänze den zwangsläufigen Heilbehandlungskosten zuordnen lassen. Das Finanzgericht weist darauf hin, dass mit dem Mitgliedsbeitrag auch Leistungen bezahlt werden, die nicht mit dem verordneten Kurs zusammenhängen und die auch von gesunden Menschen in Anspruch genommen werden können. Diese Leistungen gehören zu den nicht abziehbaren Lebenshaltungskosten.